Aus dem Tagebuch des vermeintlich Wahnsinnigen (1)
Der vermeintlich Wahnsinnige, nun im mittleren Alter angekommen, blätterte hochkonzentriert in seinem vernachlässigten Tagebuch und las darin aus seiner Vergangenheit und einige seiner Ansichten, die er kollektiv seine "Gedankendämmerung" nannte...
Prinzessin, beständig erfolglos fahnde ich nach unabweisbaren Gründen, dich zu meiden. Wär ich doch wie ein liebloser Orpheus, dem das Schwinden seiner Eurydike gleichgültig ließe - oder aber ein Fabelwesen, das seinen Herzensregungen allzeit Einhalt gebieten kann. Ich aber bin Einer, dem das Menschsein übervoll eingehaucht wurde. Meinen Groll gereiche ich der Vorsehung, die mich dich erblicken ließ. Zufällig - nein, nicht gottgewollt - erkannte ich deinen Seelenadel, und ich erlag vollends und tiefst betrübt dem Zauber deiner erhabenen Gesinnung. Eigentlich darf es dich nicht geben, denn deine Anwesenheit in dieser Welt verstößt gegen das Prinzip des Möglichen. Du bist also wie ein Wunder, an dem man auch zugrunde gehen kann. In meinen Tagträumen schreist du mir deine Liebe ins Gesicht. Aber nein, gedanklich durchstreiche ich die obigen Worte, jeden Satz, den ich heute hier eingetragen habe. Im Grunde genommen weiß ich nicht viel über dich, und tatsächlich kann es auch so sein, dass man manche Menschen nicht näher kennenlernen sollte...
Du bist wie ein verwirklichter Gedanke meiner Vorstellungskraft, wirres Echo einer Seligkeit gemischt mit dem Skeptizismus einem mit Liebesdingen vertrauten Veteranen...
Ich bin nicht unfehlbar in meinen Ansichten. Es gibt Menschen, die meinen und gar davon überzeugt sind, sie seien unfehlbar in ihren Ansichten. Diese Individuen bedenken nicht, dass es ihnen dann und wann an einer Verständigung zwischen Tatsächlichem und Unzutreffendem mangelt. Sie leugnen so zusagen die Begrenzung ihres Verstands, weil - ironischerweise - ihr Verstand zu begrenzt ist, um diese Begrenzung zu erfassen. Sie verstehen sich also selbst nicht, sind aber eifrig darauf bedacht, ihre Ansichten zu verbreiten, manchmal auch an den Verstand ihres Gegenübers appellierend. Kreislauf des...komm Schlaf, befreie mich...
Und gäbe es eine bessere Welt als unsere - wärst du nicht dort, blieb auch ich ihr fern...
Schwindend, das Licht all der Schönen, trüber als die Anmut deines Schattens...
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