Das Geschenkte Lächeln

 


Auf der leicht regennassen Treppe die zum Parkplatz der Arkade führt, saß ein Mann mittleren Alters, etwas ungepflegt, um seinen Hals hängend ein Pappdeckelschild mit der Aufschrift "Habe Hunger, bitte Spende für Essen", wobei das zweite "s" in dem Wort "Essen" durchstrichen war, darunter jedoch ein weiteres "s" hinzugefügt worden war, um den "Schreibfehler" zu korrigieren.  (Ein gekünstelter Hinweis zur "Unbeholfenheit" des Bettlers.)  Neben ihm stand ein Papierbecher, in dem einzelne Münzen darauf aufmerksam machten, dass er noch nicht viel gespendet bekommen hatte. Er blickte keinen Passanten an, seine halboffenen Augen trachteten scheinbar ins Leere, vielleicht aber sah er auch vor sich die Schatten seiner erloschenen Hoffnungen und Wünsche, denn es war bestimmt so, dass er, als er noch Träume gehabt hatte, daran glaubte, etwas aus sich machen zu können.  Tatsächlich:  er war ja jemand, ein in die Misere abgedrifteter Mensch, der, obwohl er gegenwärtig und seit jeher den von der Erfahrung bestraften Bettler darstellte, so sehr darauf bedacht gewesen war, von seinen Mitmenschen liebevoll behandelt zu werden.

     Von den Passanten, die entweder gleichgültig oder argwöhnisch an ihm vorbeigingen, hatte er kaum etwas zu erhoffen, und Joseph fragte sich, was er wohl lieber haben würde - weitere Münzbeträge oder menschliche Zuneigung, die Bestätigung anderer, dass er nicht ein fauler Irgendjemand war, denn ist es nicht so, dass sich der Einzelne nach Verständnis und Geborgenheit sehnt?  All das hatte er scheinbar nicht.  Was würde passieren, wenn er um seinen Hals ein Schild mit den Worten "Bitte mit Würde und etwas Respekt behandeln" tragen würde? Vielen wäre womöglich das Wort "etwas" schon zu viel des Guten gewesen, in den Köpfen der ihn Abwertenden schlenderte das selbst wichtige Selbstbild des im Vergleich zu diesem Bettler vorteilhaft Anders zu sein.

     Plötzlich stand ein am Zeigefinger nibbelndes Kleinkind vor ihm, ihn großäugig und forschend anblickend.  Das Kind lächelte den Bettler an, und diese Geste wurde durch das plötzliche Auftauchen der schimpfenden Mutter unterbrochen.  Als die Mutter das Kind von dem Bettler wegführte, blickte sich das Kind um, dem Bettler ein weiteres Lächeln schenkend.  Dieser hatte Tränen der Dankbarkeit in den Augen...

     Die Moral von der Geschicht'...?  Lächle einen Menschen an - vielleicht schenkst du ihm damit ein Glück, das er bisher nicht kannte...

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