Die Entscheidung

 

Nach dem Konzert besuchten Siegmund und seine Freundin Helena ein Café, wo sie sich an einen Terrassentisch setzten und Kaffee bestellten, an dem sie wortlos schlürften, während in der Sommerdämmerung die heimwärts schlendernden Passanten an ihnen vorübergingen, vertieft in ihren jeweiligen Gedanken.  Siegmund war vom Musikrausch müde geworden.  Schon seit einigen Tagen hatte er sich auch unwohl gefühlt, wobei diese gegenwärtige Veranlagung seelischer Natur war, dies sich auf sein Verhalten im Umgang mit seiner Geliebten auswirkte, vorübergehend, wie er meinte, bis eine Lösung für sein Dilemma gefunden war - oder war er in eine stark gefühlsträchtige Sackgasse geraten, aus der nur schlecht möglichst ein zufriedenstellender Ausweg vorhanden war.  Er dachte, ich muss Klartext mit ihr reden, sie ist dazu mehr als berechtigt, zu erfahren, warum ich mich ihr gegenüber so seltsam verhalten habe und weiterhin verhalte.  Ich mag mich aber nicht mehr so verhalten, es zieht mich runter, irgendwann werde ich nur noch funktionieren, freudlos, Verzweiflung verdrängend.  Helena, irgendwann muss ich wieder bei dir ankommen, bei dir, nicht bei ihr.  Ja, ich glaube, ich habe mich eben entschieden.  Auf jeden Fall muss ich handeln, sofort.

     Er sagte, "Helena, ich muss mit dir reden.  Nicht nur ein oberflächliches Gespräch, um die Zeit zu überbrücken, nein, es ist ganz und gar nicht belanglos."  Er hielt ihr seine Hand entgegen, die sie blickfragend in ihre nahm, sie leicht drückte, ihn damit ermutigte, seine Gedanken vorbehaltlos zu äußern.

     "Helena," wiederholte er ihren Namen, als sei die Aussprache dessen im Voraus beschwichtigend.  Und obwohl er den Anlauf unternommen hatte, haderte er noch etwas mit sich selbst, weil er wusste, dass er sich schämen würde, wenn er seiner Freundin mit Worten, stolpernden Sätzen verletzen würde.

     "Meinst du, dass man zwei Menschen gleichzeitig verehren kann?"

     "Du meinst damit, ob man beide lieben kann," erwiderte sie, richtete sich auf, daran interessiert, zu erfahren, welchen Kurs dieses Gespräch nehmen würde.  Ich kann ihr nicht in die Augen blicken, fiel Lawrence auf, und es kostete ihn etwas Überwindung, sie dann doch direkt anzusehen.

     "Ich hab schon mit Peg geredet," sagte er, als wüsste Helena Bescheid, um was sich das Thema, das er nun anschnitt, handeln würde.  Peg war mit den beiden befreundet.  "Peg sagte mir, dass sie eine Bekannte hat, die eine Beziehung mit einem Mann und mit einer Frau führt. Sie wohnen nicht am selben Ort, aber die beiden, mit der diese Bekannten liiert ist, wissen voneinander - und lassen dieses Beziehungsgeflecht gelten, sind damit einverstanden."

     Helenas Augenbrauen hoben sich leicht und sie sagte, "Hm, das nenne ich Toleranz."

Siegmund lächelte müde.

     "Was ich dir sagen will ist..."  Er blickte seitwärts, biss auf seine Unterlippe und seufzte.

     "Sag schon," ermutigte Helena ihn. 

     Siegmund faltete seine Hände und hielt sie vor seinen Mund, als sei er darauf bedacht, bald etwas Wichtiges zu sagen, beugte sich leicht nach vorne. 

     "Du weißt, dass ich dich liebe," fing er tastend an, und sie nickte ihm zu.  "Aber ich glaube, nein, ich weiß, dass ich eine andere Frau, die ich vor einiger Zeit kennen lernte, auch sehr gern habe."

     "Gern habe oder liebe?  Was du mir sagen willst, dass du für mich und sie identische Gefühle hast?"

     Ein bejahendes Schulterzucken seinerseits.

     "Und warum bist du jetzt nicht bei ihr?"

     Sein Blick war der eines Mannes, der merkt, dass er den Bogen etwas gespannt hat.  Er suchte nach Worten, die Helena besänftigen würden.  Helena indessen lehnte sich zurück und wartete gespannt darauf, dass Siegmund weiter erzählen würde.

     "Sie kommt morgen zum Elgar-Konzert," sagte er. 

     Helena schmunzelte und meinte, "Und du willst, dass ich sie kennen lerne?"

     "Nein, nein, nein," erwiderte Siegmund. "So abartig bin ich dann doch nicht veranlagt," sagte er auf eine Art, die Helen als scherzend deuten sollte.  Aber sie lächelte nicht. 

     "Ich werde ihr nach dem Konzert sagen, dass ich dich nicht verlassen werde."

     "Und warum wirst du das nicht tun?" fragte sie.  Helena schüttelte ihren Kopf, hob ihr Hände hoch, um anzudeuten, dass sie die gewechselten Worte mit Siegmund grenzwertig beunruhigten.  Siegmund gestand sich gedanklich folgendes ein:  Ich bleibe bei dir, weil ich denke, dass du meiner nicht überdrüssig geworden bist, nicht meiner überdrüssig werden wirst, solange ich dich liebevoll und anständig behandele.   Trotzdem habe ich Gefühle für die Andere, aber der Abstand zu ihr und die Zeit werden das ihre tun.  Im Grunde bin ich es nicht wert, geliebt zu werden.  Helena ich bin dir dankbar, dass du mich so willst, wie ich bin.

     Siegmund nahm ihre Hand und presste sie leicht gegen seine Wange.

     "Du und ich - wir vertrauen einander," flüsterte er ihr zu.  "Darauf lege ich den größten Wert."  Er küsste ihre Hand und lächelte sie an. 

     Helena sagte, "Was du erlebst, habe ich auch schon mal an mir erlebt.  Und ich habe ihn dann verlassen, um mit dir zusammen zu sein."

     Er hatte dies nicht gewusst. 

     "Und hast du es bereut?"

     Sie führte ihre Tasse an den Mund und blickte ihn wortlos aber doch bedeutungsvoll über den Tassenrand an.

     Belassen wir es dabei, dachte er, an seinem Kaffee nippend.


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